Prof. Uwe Clausen beantwortet Fragen zur Hochschullandschaft, dem Wandel in der Lehre und der Zukunftsfähigkeit von Logistikstudiengängen – unabhängig davon, ob betriebswirtschaftlich oder technisch orientiert.
Von Kerstin Zapp

INTERVIEW
DVZ: Herr Prof. Clausen, es gibt diverse Hochschulformen und mindestens zwei unterschiedliche Ausrichtungen eines Logistikstudiums: eine, die sich eher an betriebswirtschaftlichen Herausforderungen und Unternehmenssteuerungsfragen orientiert, sowie eine, die technische Anforderungen in den Mittelpunkt stellt und damit auf die Ausbildung von passenden Ingenieuren abzielt. Welche Überschneidungen gibt es?
Prof. Uwe Clausen: Gemeinsam sind beiden Richtungen zunächst das Verständnis der Logistik als Planung und Steuerung von Waren- sowie Informationsflüssen. Beiden liegt die Analyse der Transport- und Umschlagprozesse zugrunde, das Verstehen der komplexen Zusammenhänge, die technische, betriebswirtschaftliche und IT-basierte Lösungen gleichermaßen erfordern. Hinzu kommen Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung und die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten in beiden Bereichen ergeben.
Wie hat sich die Lehre in Bezug auf Logistikstudiengänge in den vergangenen 15 Jahren verändert?
Digitalisierung und Nachhaltigkeitsaspekte haben längst Eingang in die Lehre gefunden. Eine stärkere Ausrichtung auf internationale Fragestellungen findet statt und zieht verstärkt Studierende aus anderen Ländern an. Beidem ist geschuldet, dass vermehrt Module in englischer Sprache angeboten werden. Die Pandemie hat uns gezwungen, hybride und digitale Formate der Lehre zu entwickeln, die nun die Präsenzveranstaltungen ergänzen. Gleichzeitig erhält der Praxisbezug einen immer höheren Stellenwert.
Zudem ist nicht nur bezogen auf Logistikstudiengänge eine starke Spezialisierung und Vereinzelung von Themen zu beobachten. Dies halte ich nur in einem gewissen Maß für sinnvoll, denn die breite Basis der Fragestellungen darf nicht vernachlässigt werden.
Welche Relevanz haben Angebote privater Hochschulen?
Ihre Zahl hat auch in Deutschland zugenommen, etwa im Bereich der dualen und der Fernstudiengänge. Ihre Relevanz ist aber in anderen Ländern deutlich höher. In Deutschland bleiben staatliche Hochschulen die tragende Säule der wissenschaftlichen Ausbildung, wie die Anzahl der Studiengänge ebenso zeigt wie die der Studierenden.
Welche Bedeutung haben duale Studiengänge im Fachgebiet Logistik?
In Deutschland gibt es rund 50 duale Bachelorstudiengänge, die irgendetwas mit Logistik zu tun haben. Davon werden etwa 25 in Präsenz unterrichtet. Das ist verglichen mit den anderen Hochschulbereichen wenig. Bei ihnen überwiegt der Praxisbezug, während etwa an technischen Universitäten der Schwerpunkt weiterhin auf der wissenschaftlichen Basis liegt.
Der Bachelor „Logistik“ an der TU Dortmund ist verbunden mit zwei Pflichtpraktika: einem Grundpraktikum von acht Wochen und einem Fachpraktikum von zwölf Wochen. Ihr Institut empfiehlt dringend, das Grundpraktikum bereits vor Beginn des ersten Semesters zu absolvieren. Warum?
Es ist von Vorteil, vor Studienbeginn schon einmal ein Unternehmen von innen gesehen und Kontakt zur logistischen Praxis gehabt zu haben. Man weiß dann eher, wofür man studiert. Oder erkennt, dass die Branche nichts für einen ist.
Mit welcher Vorbildung starten die Studierenden in der Regel ins erste Semester?
Oft mit wenig logistischem Vorwissen. Aber das entscheidet nicht über den Studienerfolg. Logistik kann man lernen.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Hochschullandschaft in den nächsten zehn Jahren entwickeln?
Neue Lernformen werden sich entwickeln, etwa Gamification, bei der auf spielerische Weise Lerninhalte vermittelt werden. Sicher kommen auch verstärkt Masterstudiengänge in Teilzeit, die eine Berufstätigkeit neben dem Studium erlauben. Formate für lebenslanges Lernen über das grundständige Studium hinaus werden künftig mehr Eingang in die Hochschularbeit finden. Die Themen Digitalisierung und Internationalisierung hatte ich schon genannt.
Woher wissen Lehrende, welche Kenntnisse ihre Studierenden benötigen, um den sich stetig wandelnden Anforderungen der Wirtschaft zu genügen?
Dies gelingt durch einen intensiven Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in einem aktiven Netzwerk sowie auf Fachveranstaltungen und Messen. Ohne die Nähe zur Wirtschaft wären auch Exkursionen und Gastvorträge von Referenten aus der Praxis schwerer zu organisieren.
Wie steht es um Auslandssemester: Sind sie sinnvoll oder eher der Reiselust der Studierenden geschuldet?
Ich halte sie für sinnvoll. Sie sind generell sowohl in den technischen als auch in den betriebswirtschaftlichen Studiengängen möglich, auch wenn sie nicht unbedingt im Ausbildungsplan erwähnt werden. Hilfreich ist, wenn die dort erbrachten Leistungen an der Heimathochschule anerkannt werden. Persönliche Nutzen sind aus meiner Sicht die charakterliche Weiterentwicklung, die Vertiefung von Sprachkenntnissen, das Kennenlernen einer anderen Kultur und der internationalen Zusammenarbeit, die gerade in der Logistik in der Praxis eine große Rolle spielt. Wenn Studierende ein Auslandssemester absolvieren möchten, unterstützen wir sie dabei. Wir haben Kontakte zu Hochschulen in verschiedenen Ländern.
Betrachten wir alle Studierenden von Logistikfächern:
Für wen ist ein Bachelorabschluss ausreichend und wer sollte einen Masterabschluss machen?
Für alle gleichermaßen gilt, dass ein Masterabschluss unbedingt notwendig ist, wenn eine Absolventin oder ein Absolvent wissenschaftlich arbeiten möchte. Auch in bestimmten Funktionen im Management sind Masterabschlüsse gern gesehen, in anderen wird er nicht verlangt. Aber wir empfehlen generell den Masterabschluss, der mit einem deutlich tieferen Verständnis logistischer Prozesse einhergeht und neben einem guten Fundament fürs lebenslange Lernen zugleich schon Spezialisierungen im Studium ermöglicht.
Lohnt es sich, trotz der aktuellen wirtschaftlichen Probleme Logistik zu studieren?
Ja. Egal, ob technisch oder betriebswirtschaftlich orientiert. Der hohe Bedarf an Fachkräften besteht weiterhin und Logistik steckt in allen Branchen, diese Kenntnisse sind systemrelevant. Wir sprechen hier schon lange nicht mehr nur über Lager und Transport, sondern über Digitalisierung und Automatisierung, den Umgang mit Störungen, Datenanalyse, KI und Nachhaltigkeitsanforderungen. Technik, Informatik und Betriebswirtschaft greifen jeweils ineinander – was könnte interessanter und innovativer sein?
Ihr Tipp für Abiturienten?
Logistik zu studieren, ist eine gute Idee! Informieren Sie sich auch praktisch über die Branche, besuchen Sie etwa den Tag der Logistik oder machen Sie ein Praktikum. Wenden Sie sich an die Fachschaften an den Hochschulen, um mit Studierenden über ihre Erfahrungen zu sprechen. Prüfen Sie Ihre Mathekenntnisse und Ihren Willen, sich über Ihr Studienfach hinaus auch mit betriebswirtschaftlichen beziehungsweise technischen Fragestellungen der Logistik sowie mit Informatik zu beschäftigen. Und bringen Sie – das ist aber für jedes Studium erforderlich – ein bisschen Durchhaltevermögen mit. Sollte die Logistik doch nichts für Sie sein, hören Sie rechtzeitig auf – und nehmen Sie die neu erworbene Fähigkeit, sehr selbstständig arbeiten zu können, mit in Ihr weiteres Leben.

Den richtigen Studiengang finden
Weitere Informationen bieten beispielsweise:
www.studienwahl.de Der offizielle Studienführer für Deutschland, herausgegeben von der Bundesagentur für Arbeit und Hochschulstart.de, bietet neben allen Studiengängen umfangreiche Zusatzinformationen zum Studieren. Unter www.check‑u.de der Bundesanstalt für Arbeit ist ein Test zu persönlichen Stärken und Interessen zu finden.
www.hochschulkompass.de Die Seite der Hochschulrektorenkonferenz bietet einen Interessentest, Tipps rund ums Studieren, eine Forschungslandkarte, Weiterbildungsangebote und eine Studienplatzbörse.
www.studiengaenge.zeit.de Zeit Online bietet hier unter anderem ein Hochschulranking für das Wunschfach sowie ebenfalls einen Interessentest.
Kerstin Zapp ist freie Fachjournalistin mit Sitz in Hamburg.

Prof. Uwe Clausen
Uwe Clausen hat Informatik an der TH Karlsruhe studiert und dann an der Fakultät Maschinenbau an der TU Dortmund zu Verkehrslogistik promoviert.
Nach einer Zeit in der Forschung arbeitete er mehrere Jahre in der Logistik, unter anderem bei Deutsche Post DHL und Amazon.
2001 kehrte Clausen zurück in die Wissenschaft. Heute leitet er das Institut für Transportlogistik (ITL) an der TU Dortmund.
Er ist zudem Leiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Transportlogistik, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.