Wir sind ein gutes Team

Rei­mo Tie­de ist Eisen­bah­ner von gan­zem Her­zen. Er arbei­tet auf dem Ran­gier­bahn­hof Wus­ter­mark als Ran­gie­rer. Hier hat­te er auch zu DDR-Zei­ten als jun­ger Lehr­ling ange­fan­gen. Als die Wen­de kam, ver­ließ er die Bahn und kam nach 26 Jah­ren zurück.

Rei­mo Tie­de lacht: „Ich bin jetzt so was von zufrie­den“, sagt der gelern­te Eisen­bahn­trans­port­fach­ar­bei­ter. Er trägt knall­oran­ge Warn­klei­dung, eine schwar­ze Müt­ze mit der Auf­schrift sei­nes Arbeit­ge­bers Rail & Logis­tik Cen­ter Wus­ter­mark (RLCW) und eine Bril­le mit dunk­lem Rand. Man merkt ihm sei­ne Freu­de an, wie­der da sein zu dür­fen, wo er sei­nen Wer­de­gang ein­mal ange­fan­gen hat­te. 1984 begann Tie­de sei­ne Aus­bil­dung bei der Deut­schen Reichs­bahn. Er lern­te auf dem Bahn­hof Wus­ter­mark zu ran­gie­ren, arbei­te­te im Stell­werk, war Zug­be­glei­ter und ver­kauf­te Tickets im Per­so­nen­ver­kehr. Nach drei Jah­ren wur­de er über­nom­men. „Damals war mehr Betrieb“, erin­nert er sich. Die Beschäf­tig­ten arbei­te­ten im Vier-Schicht-Sys­tem und nachts. Sie nah­men Güter­zü­ge kom­plett aus­ein­an­der und stell­ten sie wie­der zusam­men. Arbeit gab es viel, denn in der DDR hat­te die Reichs­bahn im Güter­ver­kehr einen Markt­an­teil von 77 Pro­zent.

Damals war es vor­ge­schrie­ben, dass alle Güter mit der Bahn trans­por­tiert wer­den muss­ten, deren Bestim­mungs­ort mehr als 50 km weit ent­fernt war. Von 1981 an galt die Rege­lung sogar für eine Distanz von 10 km. Aus heu­ti­ger Bah­ner-Sicht waren das traum­haf­te Zustän­de. Nach der Wen­de 1989/90 hiel­ten sie aber nicht an. Denn von Anfang der 1990er Jah­re an erstark­te der LKW-Ver­kehr, der Markt­an­teil der Reichs­bahn lag bereits 1990 nur noch bei 41 Pro­zent. Der 54-jäh­ri­ge Tie­de kennt das Gelän­de des Ran­gier­bahn­hofs Wus­ter­mark wie sei­ne Wes­ten­ta­sche. „Hier haben wir uns umge­zo­gen“, erzählt er und zeigt auf einen halb ver­fal­le­nen Flach­bau. In der Umla­de­hal­le wur­de Stück­gut umge­schla­gen. Alles per Hand und Sack­kar­re. Wenn die Züge über den Ablauf­berg auf das Gelän­de fuh­ren, stand ein Zet­tel­schrei­ber an Ort und Stel­le und regis­trier­te sie. Der alte Berg ist heu­te fast abge­tra­gen, die alte Gleis­brem­se außer Betrieb. Die Güter­wag­gons wer­den mit einer Ran­gier­lok nur noch gezo­gen oder gescho­ben, um sie an die rich­ti­ge Stel­le zu brin­gen. „Frü­her war es eine sehr schö­ne Zeit“, sagt der 52-jäh­ri­ge Eisen­bah­ner. Doch alles änder­te sich mit der Wen­de und der Wie­der­ver­ei­ni­gung vor 30 Jah­ren.

Foto: Marcus Reichmann
Foto: Mar­cus Reich­mann

Die Staats­bah­nen in West und Ost fuh­ren gigan­ti­sche Ver­lus­te ein. Bes­se­rung soll­te die Fusi­on im Juni 1994 brin­gen. Was folg­te war unter ande­rem ein mas­si­ver Stel­len­ab­bau. Von 1994 bis 2001 schrumpf­te die Zahl der Mit­ar­bei­ter bei der Bahn von 331.000 auf 214.000. Spa­ren stand für die Deut­sche Bahn an obers­ter Stel­le. Für den Ran­gier­bahn­hof Wus­ter­mark sah sie kei­ne Zukunft und ver­leg­te das Ran­gier­ge­schäft nach Seddin an die süd­li­che Ber­li­ner Stadt­gren­ze. Für Rei­mo Tie­de hät­te es bedeu­tet, täg­lich von sei­nem Wohn­ort Brie­se­lang im Nor­den Ber­lins zu sei­ner Arbeits­stät­te zu pen­deln oder zu gehen. Er ent­schied sich für letz­te­res und begann, für einen Paket­dienst­leis­ter zu arbei­ten. Das war 1994. Eisen­bah­ner ist er im Her­zen aber immer geblie­ben und kam im April die­ses Jah­res nach 26 Jah­ren zurück nach Wus­ter­mark. „Ich hat­te eine Annon­ce in der Zei­tung gese­hen“, erzählt er und hat­te sich gleich bewor­ben. Gutes und erfah­re­nes Per­so­nal ist der­zeit viel Wert. Alle Eisen­bahn­un­ter­neh­men suchen hän­de­rin­gend Lok­füh­rer, Stell­wer­ker oder Ran­gie­rer. Tie­de beginnt um 6 Uhr 30 mit der Arbeit, dann wer­den die ers­ten Wag­gons ran­giert. Die übri­ge Zeit ist er mit der Pfle­ge der Gleis­an­la­gen, mit Mäh­ar­bei­ten oder mit Fahr­zeug­pfle­ge beschäf­tigt. „Ein Ran­gier­vor­gang dau­ert etwa eine hal­be Stun­de für zwei bis drei Wagen“, sagt Tie­de. Abge­stell­te Wagen muss er mit Hemm­schu­hen sichern. Heu­te sind sie nur noch weni­ge Kol­le­gen. Aber alle arbei­ten eng zusam­men, ver­si­chert Rei­mo Tie­de. „Wir sind ein gutes Team.“

Von Susan­ne Land­wehr