Fast wie in Deutsch­land

Deu­gro qua­li­fi­ziert Spe­di­ti­ons­nach­wuchs in Bra­si­li­en seit 14 Jah­ren mit dem Colé­gio Hum­boldt im Rah­men einer dua­len Aus­bil­dung

Von Kers­tin Kloss

Foto: iStock

Vanes­sa Rosat­ti ist eine von über zwölf Mil­lio­nen Men­schen in São Pau­lo. Wel­che Aus­ma­ße die Mega­ci­ty hat, muss die Aus­zu­bil­den­de zur Spe­di­ti­ons­kauf­frau täg­lich im Wort­sinn „erfah­ren“: Die 19-Jäh­ri­ge nimmt um 7 Uhr den Bus, ist um 8 Uhr im Büro, arbei­tet bis 17 Uhr. Dann fährt sie eine Stun­de zur Uni, um bis 23 Uhr zu stu­die­ren – zusätz­lich zur Aus­bil­dung. Anschlie­ßend benö­tigt sie eine Stun­de bis nach Hau­se. Doch die Nach­wuchs­spe­di­teu­rin lässt sich von lan­gen Bus­fahr­ten im dich­ten Ver­kehr durch Häu­ser­schluch­ten nicht abschre­cken. „Ich ver­su­che einen Bache­lor-Abschluss in Betriebs­wirt­schafts­leh­re zu machen, damit habe ich im zwei­ten Lehr­jahr ange­fan­gen“, sagt sie in flie­ßen­dem Deutsch. Hen­drik Wol­ken, Lan­des­lei­ter Bra­si­li­en bei ihrem Aus­bil­dungs­be­trieb, der Pro­jekt­spe­di­ti­on Deu­gro, beein­druckt „die­ser star­ke Dri­ve, was aus sei­nem Leben zu machen“. Der Pro­jekt­lo­gis­ti­ker mit Haupt­sitz in Hanau bil­det seit 14 Jah­ren in São Pau­lo Spe­di­ti­ons­kauf­leu­te nach dem deut­schen dua­len Sys­tem mit Hil­fe der Berufs­schu­le am Colé­gio Hum­boldt aus. Dort hat Vanes­sa Rosat­ti auch bereits ihr deut­sches Abitur gemacht. Wol­ken hat selbst Schiff­fahrts­kauf­mann in Bre­men gelernt und zieht vor bra­si­lia­ni­schen Azu­bis den Hut: „Das ist eine Moti­va­ti­on, die in Bra­si­li­en für vie­le Men­schen zum All­tag gehört.“

Foto: iStock

Dua­le Aus­bil­dung im Aus­land

Das Colé­gio Hum­boldt liegt auf einem Cam­pus im Stadt­teil Inter­la­gos, weit weg vom rast­lo­sen Zen­trum der Wirt­schafts­me­tro­po­le. Die ver­streu­ten Gebäu­de ver­ste­cken sich teils unter üppi­gen Tro­pen­bäu­men, es gibt auch Pal­men und Orchi­deen. Hier befin­det sich das größ­te dua­le Berufs­bil­dungs­in­sti­tut außer­halb Deutsch­lands. Seit 1982 bie­tet die dor­ti­ge Deut­sche Schu­le mit dem Deut­schen Indus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag, der Deutsch-Bra­si­lia­ni­schen Indus­trie- und Han­dels­kam­mer AHK sowie dem Deut­schen Gene­ral­kon­su­lat kauf­män­ni­sche Berufs­aus­bil­dun­gen an. 1.854 Kauf­leu­te für Spe­di­ti­on und Logis­tik­dienst­leis­tung, Indus­trie sowie Digi­ta­li­sie­rungs­ma­nage­ment haben bis­lang den AHK-Abschluss erlangt, der­zeit sind 50 jun­ge Men­schen bei „Dual“ ein­ge­schrie­ben.
Marc Phil­ipp unter­rich­tet am Logis­tik­zweig. Der Spe­di­ti­ons­kauf­mann und Wirt­schafts­päd­ago­ge wech­sel­te aus Offen­bach. Ihm fällt auf, dass jun­ge Leu­te in Bra­si­li­en oft mehr arbei­ten als in sei­ner Hei­mat: „Vie­le Aus­zu­bil­den­de stu­die­ren neben­bei“. Das orga­ni­sie­ren sie wie Vanes­sa Rosat­ti eigen­in­itia­tiv, das in Deutsch­land belieb­te dua­le Stu­di­um gibt es in Bra­si­li­en nicht.

Ange­pass­ter Lehr­plan

Auch die dua­le Aus­bil­dung stimmt nicht eins zu eins über­ein, obwohl die Hum­boldt-Schu­le dem Lehr­plan von Baden-Würt­tem­berg folgt. In Bra­si­li­en dau­ert die Aus­bil­dung nur 2 Jah­re, in Deutsch­land regu­lär 3, auf 2,5 Jah­re kann unter bestimm­ten Bedin­gun­gen ver­kürzt wer­den. Für Bra­si­li­en auf­grund der im Ver­hält­nis zu Deutsch­land unter­schied­li­chen Infra­struk­tur weni­ger rele­van­te The­men wie den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr nimmt Marc Phil­ipp daher „nicht ganz so aus­führ­lich“ durch. Im wich­ti­gen Lern­feld Stra­ßen­ver­kehr und Lkw fin­det es der Berufs­schul­leh­rer auf­grund sehr unter­schied­li­cher Bedin­gun­gen in bei­den Staa­ten „manch­mal schwie­rig, den Stoff nach deut­schem Recht zu ver­mit­teln“. Zwar ist São Pau­lo größ­ter deut­scher Wirt­schafts­stand­ort im Aus­land, rund 1.300 deut­sche Unter­neh­men gibt es in Bra­si­li­en. Aber dort gel­ten weder das deut­sche Han­dels­ge­setz­buch noch die All­ge­mei­nen Deut­schen Spe­di­teur­be­din­gun­gen, die im deut­schen Lehr­plan unter­rich­tet wer­den.
Ein wei­te­rer gro­ßer Unter­schied besteht dar­in, dass bra­si­lia­ni­sche Azu­bis aus­schließ­lich abwech­selnd je sechs Wochen in der Berufs­schu­le ler­nen und im Aus­bil­dungs­be­trieb arbei­ten. In Deutsch­land gibt es dage­gen neben dem Block­un­ter­richt auch die Mög­lich­keit, wöchent­lich an zwei Tagen die Berufs­schu­le zu besu­chen und drei Tage im Betrieb zu arbei­ten. Die­ses Modell funk­tio­niert in São Pau­lo nicht, weil Azu­bis aus Curi­ti­ba oder Rio de Janei­ro eine über 400 Kilo­me­ter lan­ge Anrei­se haben.

Foto: iStock

Emp­feh­lung durch die Schu­le

In Deutsch­land bil­det Deu­gro per­ma­nent etwa zehn Nach­wuchs­kräf­te an vier Stand­or­ten aus. „Freie Plät­ze schrei­ben wir über Stel­len­por­ta­le und unse­re eige­ne Kar­rie­re-Web­site aus. Wir machen auch Wer­bung an Schu­len“, sagt Anna Marie­ke Stravs-Voigt, die in der Per­so­nal­ab­tei­lung in Hanau jun­ge Talen­te koor­di­niert. In Bra­si­li­en nimmt das Colé­gio Hum­boldt Part­ner- unter­neh­men wie C.H. Robin­son, CMA CGM/Mercosul Line, DB Schen­ker, Deu­gro, DHL, Lescha­co oder Maersk die Akqui­se von künf­ti­gen Fach­kräf­ten ab. Jan Det­me­ring, Lei­ter des Berufs­bil­dungs­zen­trums der Deut­schen Schu­le, stellt jedes Jahr „einen Pool von fähi­gen Per­so­nen zusam­men, die eine Aus­bil­dung machen könn­ten“. Zuletzt waren es 66 Per­so­nen, auf die Deu­gros Per­so­nal­ab­tei­lung direkt zugrei­fen konn­te. Zum Vor­stel­lungs­ge­spräch wur­den Wol­ken zufol­ge zehn Leu­te ein­ge­la­den: „Wir haben uns dann für zwei ent­schie­den.“ Im Jahr zuvor gehör­te Vanes­sa Rosat­ti zu den bei­den Aus­ge­wähl­ten. Vier Azu­bis sind aktu­ell ins­ge­samt in Bra­si­li­en tätig.
„Ich wuss­te vor­her nichts von Logis­tik“, sagt Vanes­sa. Des­halb sei es für sie sehr wich­tig, dass sie im Aus­bil­dungs­be­trieb viel Unter­stüt­zung bekom­me, auch von meh­re­ren „Dual“-Absolventen. Bei dem Pro­jekt­lo­gis­ti­ker liegt der Schwer­punkt in São Pau­lo auf See­fracht, aber die Über­flie­ge­rin lernt in der Aus­bil­dung auch die Luft­fracht­ab­tei­lung in Rio de Janei­ro ken­nen. Außer­dem reist sie in die­sem Som­mer mit ihrer Berufs­schul­klas­se für vier Wochen nach Deutsch­land, nimmt an einem Besich­ti­gungs­pro­gramm teil und arbei­tet zwei Wochen bei Deu­gro in Bre­men und Ham­burg.
Eben­falls in die­sem Som­mer macht Ben Schrick, der Spe­di­ti­ons­kauf­mann in Ham­burg lernt, ein fünf­wö­chi­ges Prak­ti­kum bei Deu­gro in São Pau­lo und Rio de Janei­ro im Rah­men eines Pro­gramms sei­ner Berufs­schu­le.
Im Ham­bur­ger Büro steht seit Novem­ber 2023 auch der Schreib­tisch von Pedro Oka­za­ki, der über einen Spe­di­ti­ons­ab­schluss und die Fach­hoch­schul­rei­fe von der Hum­boldt-Schu­le sowie 6,5 Jah­re Berufs­er­fah­rung in sei­nem Hei­mat­land Bra­si­li­en ver­fügt. Nächs­tes Jahr will er sein dua­les Stu­di­um für Ange­wand­te Infor­ma­tik an der Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten Ham­burg mit einem Bache­lor abschlie­ßen, danach zunächst wei­ter in Deutsch­land blei­ben. Die dua­le Aus­bil­dung in São Pau­lo habe ihn „sehr gut vor­be­rei­tet“, vor allem „der kla­re Fokus auf pra­xis­ori­en­tier­tes Wis­sen“. Laut Jan Det­me­ring gehen jedes Jahr „unge­fähr 30 bis 40 Pro­zent unse­rer Absol­ven­ten nach Deutsch­land”.
Vanes­sa Rosat­ti kann sich eben­falls vor­stel­len, hier „viel­leicht ein paar Jah­re“ zu arbei­ten. Aber auf Dau­er möch­te sie „lie­ber in Bra­si­li­en leben“, trotz Staus und Häu­ser­schluch­ten.

Kers­tin Kloss ist freie Fach­jour­na­lis­tin mit Sitz in
Ham­burg.

Vor­tei­le einer dua­len Aus­bil­dung
Eine dua­le Berufs­aus­bil­dung ist eine betrieb­li­che
Aus­bil­dung, die Pra­xis und Theo­rie ver­bin­det. Rund
zwei Drit­tel der Zeit ver­bringt man im Aus­bil­dungs­be­trieb,
der auch für Anstel­lung und Bezah­lung
ver­ant­wort­lich ist. Man ist direkt in die Arbeits­pro­zes­se
ein­ge­bun­den.
Ergän­zend wird eine Berufs­schu­le besucht. Ziel ist
ein umfas­sen­der Kennt­nis­stand im Beruf, der weit
über das Anler­nen hin­aus­geht – und oft auch über
die Auf­ga­ben im Aus­bil­dungs­be­trieb. Dafür sorgt
das in der Berufs­schu­le ver­mit­tel­te berufs­spe­zi­fi­sche
und all­ge­mei­ne Wis­sen.
Mehr Infor­ma­tio­nen unter www.die-duale.de