Wie groß ist groß genug auf Welt­mee­ren?

Euro­pas Häfen lei­den unter den Fracht­rie­sen.

von Frank Hüt­ten

Als das rie­si­ge Con­tai­ner­schiff „Ever Given“ sich 2021 im Suez­ka­nal fest­fuhr und die­se Haupt­schlag­ader des Welt­han­dels auf zunächst unge­wis­se Zeit blo­ckier­te, haben vie­le in der Trans­port- und Logis­tik­wirt­schaft den Atem ange­hal­ten. Nach rund einer Woche war der Weg wie­der frei. Die Fol­gen des Schiffs- und Waren­staus wir­ken aber in allen Tei­len der Welt noch viel län­ger nach. Sie könn­ten auch einer Ange­le­gen­heit eine viel stär­ke­re Dyna­mik geben, die in Brüs­sel ohne­hin schon seit einer Wei­le geführt wird: Der Dis­kus­si­on dar­über, ob der Trend zu immer grö­ße­ren Schif­fen zu einem immer effi­zi­en­te­ren und auch umwelt­ver­träg­li­che­ren Welt­han­del bei­trägt oder ob er den welt­wei­ten Markt für Con­tai­ner­trans­por­te aus dem Gleich­ge­wicht zu brin­gen droht.

Nach Jah­ren der Kri­se sind die gro­ßen Lini­en­ree­de­rei­en in die­sem Markt wie­der oben­auf. Sie haben es geschafft, Kos­ten zu sen­ken und die Effi­zi­enz zu stei­gern. Dar­an dürf­ten auch die Lade­ka­pa­zi­tä­ten gro­ßer Schif­fe ihren Anteil haben. Mit Megafrach­tern kann der ein­zel­ne Con­tai­ner immer güns­ti­ger und mit antei­lig weni­ger CO2-Emis­sio­nen etwa von Asi­en nach Euro­pa oder Nord­ame­ri­ka gebracht wer­den. Und anders als Exper­ten zunächst erwar­te­ten, haben die Lini­en­ree­de­rei­en durch die Covid-Pan­de­mie nicht etwa Mil­li­ar­den­ver­lus­te hin­neh­men müs­sen: Die Ana­lys­ten des bri­ti­schen Markt­for­schers und Bera­tungs­un­ter­neh­mens Dre­wry hal­ten 2022 gar einen sum­mier­ten Betriebs­ge­winn von 200 Mil­li­ar­den USD für mög­lich. Das wären noch ein­mal gut 50 Mil­li­ar­den USD mehr als im extrem guten Jahr 2021.

Vie­le Ree­de­rei­en betrach­ten das als drin­gend benö­tig­ten Aus­gleich für die ver­gan­ge­nen Kri­sen­jah­re mit hohen Ver­lus­ten und Schul­den – auch ange­sichts der Inves­ti­tio­nen, die in den kom­men­den Jah­ren wohl für den Kli­ma­schutz not­wen­dig wer­den.

Kos­ten an Land stei­gen

Mit Sor­ge bli­cken dage­gen euro­päi­sche Ver­bän­de der ver­la­den­den Wirt­schaft, von Spe­di­teu­ren, Hafen- und Ter­mi­nal­be­trei­bern auf die immer grö­ßer wer­den­den Con­tai­ner­rie­sen. Schon seit Län­ge­rem kri­ti­sie­ren sie, dass sie die nega­ti­ven Begleit­erschei­nun­gen eines immer effi­zi­en­te­ren See­trans­ports abfe­dern müs­sen: Kos­ten für tie­fe­re Hafen­be­cken und stär­ke­re Kai­mau­ern etwa, immer höhe­re Belas­tungs­spit­zen beim Umschlag der Con­tai­ner­flut mit Eng­päs­sen bei Per­so­nal, Lager­raum und Umschlag­ka­pa­zi­tä­ten sowie Staus beim Wei­ter­trans­port ins Hin­ter­land. Wenn ein Rie­sen­schiff zu früh, zu spät oder mit einer ande­ren Waren­men­ge als ange­kün­digt kom­me, ver­ur­sa­che das erheb­li­che Pro­ble­me beim Manage­ment der Lie­fer­ket­te, heißt es bei euro­päi­schen Hafen­be­trei­bern.

Durch die Blo­cka­de im Suez­ka­nal hat sich die Lage wei­ter zuge­spitzt. Die zunächst ver­spä­te­ten und dann kurz nach­ein­an­der ein­tref­fen­den Con­tai­ner­rie­sen haben die Kapa­zi­tä­ten euro­päi­scher Häfen, Spe­di­tio­nen und Hin­ter­land­trans­por­teu­re teils gesprengt. Auch beim Suez­ka­nal selbst stellt sich nach der Hava­rie der „Ever Given“ die Fra­ge, ob die welt­wei­te Trans­port­in­fra­struk­tur immer grö­ße­re Con­tai­ner­schif­fe ver­kraf­ten kann.

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Lie­fer­ket­ten­ef­fi­zi­enz lei­det

Die euro­päi­schen Spe­di­teu­re mei­nen, dass die Ent­wick­lung in die fal­sche Rich­tung läuft. Mit den Mega­schif­fen sei der Fracht­raum nicht grö­ßer gewor­den, weil vie­le klei­ne­re Schif­fe vom Markt ver­schwun­den sei­en und mit ihnen vie­le Rou­ten aus den Fahr­plä­nen. Der euro­päi­sche Ver­la­der­ver­band ESC bemän­gelt, dass vie­le klei­ne­re euro­päi­sche Häfen von gro­ßen Con­tai­ner­schif­fen nicht mehr ange­lau­fen, son­dern nur noch vom Kurz­stre­cken­see­ver­kehr, von Bin­nen­schif­fen, Lkw und Güter­zü­gen bedient wer­den. Wenn Con­tai­ner sich zunächst in – zuneh­mend ver­stopf­ten – Groß­hä­fen stau­ten und dann even­tu­ell noch mehr­mals umge­la­den wer­den müss­ten, bevor sie ans Ziel kämen, ver­län­ge­re sich die Gesamt­lauf­zeit der Ware. Auch die Kli­ma­bi­lanz wer­de schlech­ter, monie­ren die Ver­la­der. Effi­zi­enz müs­se über die gesam­te Lie­fer­ket­te beur­teilt wer­den, nicht nur für den Haupt­lauf über die Ozea­ne. Der ESC for­dert daher eine Dis­kus­si­on über eine Grö­ßen­be­gren­zung für Schif­fe in EU-Häfen.

Ver­la­der, Spe­di­teu­re, Hafen- und Ter­mi­nal­be­trei­ber fin­den ohne­hin, dass die Con­tai­ner­li­ni­en­ree­de­rei­en inzwi­schen zu viel Markt­macht haben. Ihre eige­nen Effi­zi­enz­ge­win­ne sei­en durch „schlech­ten Dienst­leis­tungs­ser­vice und höhe­re Kos­ten“ an der Schnitt­stel­le zwi­schen Schiff und Land aus­ra­diert wor­den, for­mu­liert es der ESC. Euro­päi­sche Ree­de­rei­kun­den beschwe­ren sich über explo­die­ren­de Fracht­ra­ten und Zuschlä­ge sowie kurz­fris­tig gestri­che­ne Abfahr­ten oder dar­über, dass die Car­ri­er häu­fig lie­ber Leer­con­tai­ner nach Asi­en bräch­ten, um dann von den sehr hohen Fracht­ra­ten im Ost-West-Ver­kehr zu pro­fi­tie­ren, als auf euro­päi­sche Ware zu war­ten. Ähn­li­che Kri­tik gibt es in den USA: Sogar US-Prä­si­dent Joe Biden griff das The­ma in sei­ner ers­ten Rede zur Lage der Nati­on im März 2022 auf und kün­dig­te wei­te­re Unter­su­chun­gen an, ob die Ree­der-Alli­an­zen aus wett­be­werbs­recht­li­cher Sicht nicht zu groß gewor­den sei­en. Eine Mit­schuld an der Ent­wick­lung geben die euro­päi­schen Ree­de­rei­kun­den der EU-Kom­mis­si­on, weil die­se 2020 die Grup­pen­frei­stel­lung der Lini­en­ree­de­rei­en vom EU-Wett­be­werbs­recht für vier Jah­re ver­län­gert hat. Das erlaubt den Ree­dern etwa die Zusam­men­ar­beit in „Alli­an­zen“.

Im Streit um die Wett­be­werbs­be­din­gun­gen mode­riert die EU-Kom­mis­si­on zwar Gesprä­che zwi­schen allen Betei­lig­ten an der Lie­fer­ket­te und betont, sie beob­ach­te die Markt­ent­wick­lung. Sie lässt sich aber nicht auf ein regu­lie­ren­des Ein­grei­fen fest­na­geln. Das durch den Unfall im Suez­ka­nal aktu­ell gewor­de­ne The­ma der Megafrach­ter könn­te viel­leicht dazu füh­ren, dass der Con­tai­ner­ver­kehr noch ein­mal umfas­sen­der betrach­tet wird – jen­seits der Grup­pen­frei­stel­lungs­dis­kus­si­on. Denn egal, wie man sich zu immer grö­ße­ren Con­tai­ner­schif­fen stellt: Die euro­päi­sche Ver­kehrs­pla­nung muss dar­an ange­passt wer­den.

Die EU-Gesetz­ge­ber haben das The­ma durch­aus auf dem Schirm. So hat etwa die Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te Jut­ta Pau­lus (Grü­ne) dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Lini­en­ree­de­rei­en durch immer grö­ße­re Schif­fe in den Häfen eine Men­ge Kos­ten ver­ur­sach­ten.

Im Dezem­ber 2021 hat die Kom­mis­si­on ihren Vor­schlag für eine Neu­fas­sung der Ver­ord­nung über die trans­eu­ro­päi­schen Ver­kehrs­net­ze vor­ge­legt (TEN‑V). Dar­in geht es unter ande­rem auch dar­um, die Umschlag­punk­te für den inter­mo­da­len Güter­ver­kehr zu stär­ken und fit für eine nach­hal­ti­ge Zukunft zu machen. Das Euro­päi­sche Par­la­ment und die EU-Staa­ten neh­men den Kom­mis­si­ons­vor­schlag der­zeit unter die Lupe. Sie müs­sen sich auf den end­gül­ti­gen Ver­ord­nungs­text eini­gen. Der Zeit­punkt für eine gründ­li­che Dis­kus­si­on über die nöti­ge Infra­struk­tur für die Con­tai­ner­schiff­fahrt wäre der­zeit also sehr güns­tig.