Kli­ma­for­schung braucht logis­ti­sche Maß­ar­beit

Die Polar­re­gio­nen sind fas­zi­nie­rend, aber durch den Kli­ma­wan­del bedroht. For­scher unter­su­chen, wie sich die­se Öko­sys­te­me ver­än­dern und wel­che Fol­gen das für den gesam­ten Pla­ne­ten hat.

Von Robert Küm­mer­len

Expe­di­tio­nen in die Ark­tis und Ant­ark­tis benö­ti­gen mona­te­lan­ge Vor­be­rei­tun­gen. Momen­tan kommt noch die Coro­na-Kri­se hin­zu, die zusätz­li­che Sicher­heits­vor­keh­run­gen erfor­dert. So muss­ten die gut 50 Wis­sen­schaft­ler und die 40 „Polarstern“-Crewmitglieder rund zwei Wochen in stren­ger Qua­ran­tä­ne in einem Bre­mer­ha­ve­ner Hotel ver­brin­gen, bevor es am Pfingst­mon­tag los­ging. Das For­schungs­schiff lief in Rich­tung Ark­tis aus.
Wäh­rend der eher kur­zen Expe­di­ti­on von etwas über einem Monat unter­su­chen die Wis­sen­schaft­ler in der Fram­stra­ße zwi­schen Grön­land und Spitz­ber­gen den Ein­fluss von Umwelt­ver­än­de­run­gen auf das ark­ti­sche Tief­see­öko­sys­tem. Die­se Lang­zeit­be­ob­ach­tun­gen lau­fen seit über 20 Jah­ren. Im Okto­ber ver­gan­ge­nen Jah­res ende­te die bis­lang größ­te Polar­ex­pe­di­ti­on aller Zei­ten, genannt MOSAiC. Die Abkür­zung steht für „Mul­ti­di­sci­pli­na­ry drif­ting Obser­va­to­ry for the Stu­dy of Arc­tic Cli­ma­te“.

Mona­te­lan­ge Arbeit auf einer Eis­schol­le

Die MOSAiC-For­schungs­rei­se star­te­te im Herbst 2019, und im Ver­lauf trieb die „Polar­stern“ zeit­wei­se ein­ge­fro­ren durch das Nord­po­lar­meer. Auf einer Eis­schol­le ent­stand ein For­schungs­camp, ver­bun­den mit kilo­me­ter­weit ver­teil­ten Mess­sta­tio­nen. Damit erho­ben die Wis­sen­schaft­ler eine Men­ge Daten, mit denen der Ein­fluss der Ark­tis auf das glo­ba­le Kli­ma wei­ter ana­ly­siert wer­den soll.
Die mona­te­lan­ge For­schungs­ar­beit fand unter extre­men kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen statt. Daher muss­te im Vor­feld alles best­mög­lich geplant wer­den, um die Sicher­heit der Schiffs­be­sat­zung und das Gelin­gen der Expe­di­ti­on zu gewähr­leis­ten. Damit am Ende wert­vol­le Daten für die Kli­ma­for­schung ver­füg­bar sind, kommt es ent­schei­dend auf die Logis­tik und Orga­ni­sa­ti­on an. Die Phy­si­ke­rin und Koor­di­na­to­rin Vere­na Mohaupt war maß­geb­lich an der Vor­be­rei­tung für MOSAiC betei­ligt. Sie arbei­tet im Bereich Kli­ma­wis­sen­schaf­ten, Atmo­sphä­ren­phy­sik, Infra­struk­tur / Ver­wal­tung, Betrieb und For­schungs­platt­for­men am AWI und sieht sich an der Schnitt­stel­le zwi­schen Wis­sen­schaft und Logis­tik. Die Koor­di­na­ti­on der Expe­di­ti­on sei ein unglaub­li­cher Auf­wand gewe­sen, erzählt sie im DVZ Pod­cast. Wis­sen­schaft­ler aus 20 Natio­nen sowie ande­re Insti­tu­te und Schif­fe muss­ten koor­di­niert wer­den.
Mohaupts Auf­ga­be: die vie­len Bedürf­nis­se der Wis­sen­schaft­ler abzu­fra­gen und die dar­aus abge­lei­te­ten Vor­ga­ben an die Logis­tik zu bün­deln und zusam­men­zu­brin­gen. „Das Wich­tigs­te ist die Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wenn man nicht ver­nünf­tig mit­ein­an­der redet, wird das gar nichts“, berich­tet Mohaupt. Im End­ef­fekt lau­fe es dann auf zahl­rei­che Excel­ta­bel­len hin­aus, um alle Anfor­de­run­gen zu erfas­sen und bei der Orga­ni­sa­ti­on zu berück­sich­ti­gen. Dabei kom­me es auf unzäh­li­ge Details an.

Wach­sam­keit ist über­le­bens­wich­tig

Die eigent­li­che For­schungs­ar­beit auf der Eis­schol­le fand unter extre­men Bedin­gun­gen statt. Käl­te, lan­ge Dun­kel­heit und Eis­bä­ren sind Gefah­ren, mit denen die Expe­di­ti­ons­teil­neh­men­den umge­hen muss­ten. Im Vor­feld wur­de daher ein Regel­werk erar­bei­tet, um die Risi­ken klein zu hal­ten. Dar­aus ent­stand ein Sicher­heits­kon­zept, zu dem auch ein Über­le­bens­trai­ning gehör­te.
Mohaupt konn­te für die MOSAiC-Expe­di­ti­on eini­ge Erfah­run­gen ein­brin­gen, denn sie hat bereits zwei 18-mona­ti­ge Ein­sät­ze als Sta­ti­ons­lei­te­rin einer deutsch-fran­zö­si­schen For­schungs­ba­sis auf Sval­bard (Spitz­ber­gen) in Nor­we­gen absol­viert. Dass sie Logis­ti­ke­rin gewor­den ist, sei kei­ne bewuss­te Ent­schei­dung gewe­sen, es hat sich so erge­ben, erzählt Mohaupt. Nach ihrem Diplom hat sie die Stel­le auf Spitz­ber­gen ent­deckt. Dort ging es bei ihrer Arbeit dann weni­ger um Wis­sen­schaft als mehr um Koor­di­na­ti­on.
„Vie­le Situa­tio­nen kann man sich aus­ma­len, aber nicht alles im kleins­ten Detail“, sagt sie. Im Wesent­li­chen gehe es dar­um, nichts Gro­bes zu über­se­hen. Neu­es Mate­ri­al und Klei­dung wur­den vor der Expe­di­ti­on getes­tet. „Es ist schlimm bis kata­stro­phal, wenn man mit 50 Leu­ten im Eis steht und etwas nicht funk­tio­niert.“ Eine gute Grund­la­ge, um die rich­ti­ge Mischung aus Bewähr­tem und Neu­em zu fin­den, sei die jahr­zehn­te­lan­ge Erfah­rung des AWI und ande­rer Insti­tu­te.
Die Polar­näch­te wür­den ver­mut­lich vie­len Men­schen Pro­ble­me berei­ten. Für Mohaupt sind sie kei­ne beson­de­re Her­aus­for­de­rung. „Man gewöhnt sich rela­tiv schnell dar­an“, sagt sie. Dann sei es eher „ent­span­nend und erfri­schend, dass man nicht mehr an die­sen kla­ren Rhyth­mus von Tag und Nacht gebun­den ist“. Aber natür­lich sei eine sol­che Expe­di­ti­on inten­siv und kräf­te­zeh­rend.
Außer­dem müs­se man sich der Gefah­ren immer bewusst sein. „Selbst wenn man mona­te­lang kei­nen Eis­bä­ren sieht, könn­te einer da sein.“ Des­we­gen hat­ten die Teams bei der Arbeit auf der Schol­le immer eine Eis­bä­ren­wa­che dabei. „Wach­sam sein ist der Schlüs­sel zum Erfolg“, weiß Mohaupt. „Je eher man den Bären sieht, umso bes­ser kann man reagie­ren.“ Wenn ein Bär auf­taucht, zieht man sich zurück. Soll­te das Tier hin­ter­her­kom­men, wird ver­sucht, es durch einen lau­ten Knall einer Signal­pis­to­le oder Schreck­schuss­waf­fe zu ver­trei­ben. Das Gewehr mit schar­fer Muni­ti­on ist nur die letz­te Not­lö­sung.

Foto: Alfred-Wege­ner-Insti­tut / Klaus Guba

Coro­na bringt die Ver­sor­gung durch­ein­an­der

Eine exak­te logis­ti­sche Pla­nung benö­tig­te die Ver­sor­gung des fest­ge­fro­re­nen For­schungs­schif­fes. Bei den Vor­be­rei­tun­gen wur­den ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en durch­ge­spielt. Ent­schei­den­de Fra­ge dabei war, wo und in wel­cher Ent­fer­nung von der „Polar­stern“ ein Ver­sor­gungs­schiff an der Eis­schol­le anlan­den kann, ohne die Eis­mas­se zu bre­chen. Konn­ten die Schif­fe Sei­te an Sei­te lie­gen, war der Ladungs­um­schlag mit Krä­nen mög­lich. So lief es, als die Polar­stern noch nicht kom­plett von dickem Pack­eis umschlos­sen war. Im spä­te­ren Ver­lauf der Expe­di­ti­on, als das Schiff rings­um von dickem Eis umge­ben war, muss­te über eine Ent­fer­nung von meh­re­ren hun­dert Metern ein Weg berei­tet wer­den, über den die Ladung dann über das Eis gezo­gen wur­de.
Ein Aus­tausch hät­te außer­dem mit Flug­zeu­gen statt­fin­den sol­len. Da es aller­dings zu dem Zeit­punkt wegen der Coro­na-Pan­de­mie schon erheb­li­che Ein­schrän­kun­gen des Flug­ver­kehrs gab, war dies nicht mög­lich. Im Mai 2020 muss­te die „Polar­stern“ dann ein­mal aus dem Eis raus, damit eine Ver­sor­gung vor Spitz­ber­gen statt­fin­den konn­te. Da war das Schiff nicht mehr ganz so stark ein­ge­fro­ren. Den­noch: „Das war kei­ne But­ter­fahrt“, erin­nert sich Mohaupt. Das For­schungs­schiff muss­te sich den Weg durch dickes Eis bre­chen.
Die Coro­na­kri­se hat den Ablauf der For­schungs­rei­se in wei­ten Tei­len durch­ein­an­der­ge­bracht. Nicht nur die Ver­sor­gung der Schif­fe klapp­te nicht mehr wie geplant, auch Team­wech­sel waren nur mit stren­gen Qua­ran­tä­ne­re­geln mög­lich, denn die Sicher­heit aller Betei­lig­ten stand an ers­ter Stel­le. Mohaupt kam es so vor, als hät­te jemand mit­ten in einem Spiel plötz­lich die Regeln geän­dert und alles über den Hau­fen geschmis­sen, erzählt sie im DVZ Pod­cast.
Trotz aller Wid­rig­kei­ten sam­mel­ten die Wis­sen­schaft­ler bei der Expe­di­ti­on bis zu ihrer Rück­kehr im Okto­ber 2020 mehr als 150 Tera­byte Daten und meh­re­re 10.000 Pro­ben. Kürz­lich sag­te der dama­li­ge Fahrt­lei­ter Mar­kus Rex, erst die Aus­wer­tung der nächs­ten Jah­re wer­de zei­gen, ob das ganz­jäh­ri­ge ark­ti­sche Meer­eis noch zu ret­ten sei.

MOSAiC und Polar­stern
Im Rah­men der Expe­di­ti­on haben Wis­sen­schaft­ler aus 20 Natio­nen die Ark­tis im Jah­res­ver­lauf erforscht. Über 80 Insti­tu­te arbei­ten dafür in einem For­schungs­kon­sor­ti­um zusam­men. Am 20. Sep­tem­ber 2019 star­te­te der For­schungs­eis­bre­cher „Polar­stern“ vom nor­we­gi­schen Hafen Trom­so. Im Ver­lauf der Expe­di­ti­on drif­te­te das Schiff ein­ge­fro­ren im Eis durch das Nord­po­lar­meer. Die Polar­stern kehr­te am 12. Okto­ber 2020 in ihren Hei­mat­ha­fen Bre­mer­ha­ven zurück. MOSAiC wird vom Alfred-Wege­ner-Insti­tut Helm­holtz-Zen­trum für Polar- und Mee­res­for­schung (AWI), gelei­tet. Das Bud­get der Expe­di­ti­on betrug nach Anga­ben des AWI über 140 Mil­lio­nen Euro. Die Aus­wer­tung der gesam­mel­ten Daten wird meh­re­re Jah­re dau­ern. Das AWI plant den Neu­bau eines mul­ti­funk­tio­na­len, eis­bre­chen­den Polar­for­schungs- und Ver­sor­gungs­schif­fes. Die „Polar­stern II“ (PS II) soll in den Polar­mee­ren sowie für die Ver­sor­gung der For­schungs­sta­ti­on „Neu­may­er III“ in der Ant­ark­tis zum Ein­satz kom­men. Außer für die For­schungs­ar­beit soll die PS II für Hilfs­ein­sät­ze in pola­ren Gewäs­sern genutzt wer­den. Die Erfah­run­gen der MOSAiC-Expe­di­ti­on wer­den für die Leis­tungs­be­schrei­bung und Spe­zi­fi­ka­ti­on der PS II genutzt.