Go West

Wie eine Loko­mo­ti­ve per Lkw und Schiff in die USA gelangt

Von Jan Peter Nau­mann

Umsich­tig steu­ert Kars­ten Rei­chel den Schwer­last­kon­voi durch einen Kreis­ver­kehr am Orts­aus­gang von Lich­ten­au (bei Pader­born) – auf der Lade­flä­che befin­det sich eine von ins­ge­samt 25 Loko­mo­ti­ven, die künf­tig im Lini­en­ver­kehr im Groß­raum zwi­schen New Jer­sey und New York ein­ge­setzt wer­den. Die Trans­port­ab­wick­lung zwi­schen dem Werk in Kas­sel und dem Emp­fän­ger in den USA über­nimmt das Team der Uni­ver­sal Trans­port Grup­pe und ihrer Töch­ter. Kars­ten Rei­chel arbei­tet seit 2010 bei der Pader­bor­ner Spe­di­ti­on. Ent­spre­chend rou­ti­niert ist er dar­in, beson­ders gro­ße, lan­ge oder schwe­re Frach­ten zu fah­ren. Und doch ist die­ser Trans­port etwas Beson­de­res.

Die Pla­nun­gen und Vor­be­rei­tun­gen für die Trans­port-Serie der Loks haben über ein Jahr gedau­ert. Nicht nur besag­ter Kreis­ver­kehr hat dafür eine eige­ne asphal­tier­te Mit­tel­spur erhal­ten, selbst eine neue Kes­sel­brü­cke muss­te für die Rei­se kon­zi­piert und gebaut wer­den.

Cre­dit: BOMBARDIER/UNIVERSAL TRANSPORT

Ver­la­dung im Kas­se­ler Werk

Los geht die Rei­se der Loko­mo­ti­ven jeweils im Her­stel­ler­werk in Kas­sel. Die nord­hes­si­sche Stadt ist nicht nur für die Kunst­aus­stel­lung docu­men­ta bekannt, son­dern kann auch eine lan­ge Tra­di­ti­on in der Her­stel­lung von Schie­nen­fahr­zeu­gen vor­wei­sen. Für den aktu­el­len Auf­trag wur­den 25 ALP-45DP Dual­Power-Loko­mo­ti­ven im Hau­se Als­tom, frü­her Bom­bar­dier, für das nord­ame­ri­ka­ni­sche Trans­port­un­ter­neh­men New Jer­sey Tran­sit bestellt.

Bis dahin ist es aber noch weit. Nor­ma­ler­wei­se ver­las­sen die hier pro­du­zier­ten Loks das Werk auf der Schie­ne. Das ist in die­sem Fall nicht mög­lich, weil sie für den Ein­satz im deut­schen Schie­nen­netz nicht geeig­net sind. Ihre Achs­last ist mit 32 Ton­nen statt der hier zuläs­si­gen maxi­mal 22,5 Ton­nen deut­lich zu schwer. Auch pas­sen die Rad­pro­fi­le nicht zu den Schie­nen in Euro­pa.

Auf der Stre­cke: Jeder Zen­ti­me­ter zählt

Für den Vor­lauf in den Hafen Ham­burg wird der 90 Ton­nen schwe­re Wagen­kas­ten – noch ohne Dreh­ge­stel­le – trans­por­tiert. Kars­ten Rei­chel steu­ert die vor­de­re Zug­ma­schi­ne. Doch für Stei­gun­gen oder Gefäl­le wür­den ihre 640 PS nicht aus­rei­chen. Daher kommt ein zwei­ter MAN TGX zum Ein­satz, der die Kes­sel­brü­cke von hin­ten schiebt oder abbremst. Kars­ten Rei­chel und sein Kol­le­ge Hen­drik Neu­bau­er sind wäh­rend der Fahrt per Funk stän­dig mit­ein­an­der in Kon­takt und stim­men jedes Fahr­ma­nö­ver genau ab, damit der Trans­port vor­an­kommt.

Der Spe­zi­al-Auf­lie­ger in ihrer Mit­te hat ins­ge­samt 14 Achs­li­ni­en und 112 Rei­fen. Bei einer Spann­wei­te von maxi­mal 23 Metern kann er bis zu 160 Ton­nen Ladung auf­neh­men. Welt­weit gibt es nur weni­ge Kes­sel­brü­cken ähn­li­cher Bau­art, meist mit deut­lich nied­ri­ge­rer Zula­dung. Ihre spe­zi­ell tief­lie­gen­de Kon­struk­ti­on ermög­licht den Trans­port von Fahr­zeu­gen mit einer Höhe von bis zu 4,40 Metern. Wich­tig gera­de für den Trans­port die­ser Loks, denn mit einem her­kömm­li­chen Auf­lie­ger wäre für ihn bereits nach weni­gen Kilo­me­tern, vor einer beson­ders nied­ri­gen Brü­cke bei Vell­mar, wie­der Schluss gewe­sen.

Trotz­dem ist auch jetzt noch Mil­li­me­ter­ar­beit und Fin­ger­spit­zen­ge­fühl bei jeder Brü­cken­durch­fahrt gefragt. Dafür wird der Tief­la­der hydrau­lisch bei­na­he bis auf die Stra­ße abge­senkt. Mit fünf Zen­ti­me­tern Luft oben und zwei bis drei Zen­ti­me­tern zur Fahr­bahn pas­siert er im Schne­cken­tem­po die Eng­stel­le, die nicht die ein­zi­ge auf der Stre­cke bleibt. Vor­bei geht es unter Brü­cken und durch klei­ne Ort­schaf­ten. Eine ande­re Stre­cken­füh­rung ist nicht mög­lich, denn das deut­sche Auto­bahn­netz mit sei­nen Brü­cken ist maro­de und damit nicht für die­se Trans­por­te geeig­net. So benö­tigt das Team für die rund 360 Kilo­me­ter über Bun­des­stra­ße und Auto­bahn bis in den Hafen Ham­burg vier Näch­te.

Cre­dit: DB SCHENKER/MICHAEL NEUHAUS

Schwimm­kran als letz­te Mei­le

Auf den letz­ten Kilo­me­tern durch die Han­se­stadt muss die Lok noch einen Umweg neh­men. Denn eine Brü­cke zum Ter­mi­nal kann der Schwer­last­kon­voi auf­grund sei­nes Gesamt­ge­wichts von 230 Ton­nen nicht über­fah­ren. Daher fährt Kars­ten Rei­chel die Lok an ein ande­res Ter­mi­nal. Mit einem Schwimm­kran wird sie vom Lkw geho­ben und rund 6 Kilo­me­ter über die Elbe an das eigent­li­che Abfahrts­ter­mi­nal gebracht.

Dort erhält der Wagen­kas­ten sei­ne Dreh­ge­stel­le. Sorg­fäl­tig auf einem Mafi­Roll- und Car­go­trai­ler gesi­chert geht es für die nun 130 Ton­nen schwe­re Lok auf ein RoRo-Schiff, das sie die 6.000 Kilo­me­ter über den Atlan­tik bis nach New Jer­sey bringt, wo die Ent­la­dung in das Gleis­bett des ame­ri­ka­ni­schen Bahn­be­trei­bers erfolgt.

Bereits zwei Loks haben so ihr Ziel erreicht. 23 wei­te­re sol­len bis 2022 fol­gen. Feder­füh­rend zustän­dig für die Trans­port­or­ga­ni­sa­ti­on und ‑abwick­lung inklu­si­ve Ent­la­dung im US-ame­ri­ka­ni­schen Hafen als Pro­jekt­lo­gis­ti­ker ist Züst & Bach­mei­er. Die Umset­zung aller not­wen­di­gen Maß­nah­men zur Vor­be­rei­tung der Stre­cke sowie die Trans­port­be­glei­tung mit ins­ge­samt vier Fahr­zeu­gen wer­den von der StB Ver­kehrs­tech­nik durch­ge­führt. Die Trans­port­leis­tung über­nimmt die Spe­di­ti­ons­ab­tei­lung von Uni­ver­sal Trans­port.