Güter­zü­ge brau­chen kei­ne Schnee­ket­ten

Die Ver- und Ent­sor­gung von elf auto­frei­en Orten in der Schweiz und der hoch­al­pi­nen Feri­en­re­gi­on des Ober­enga­dins stel­len hohe Anfor­de­run­gen an die Logis­tik: Allein Zer­matt und St. Moritz wach­sen im Win­ter zu Städ­ten mit bis zu 50.000 Ein­hei­mi­schen und Gäs­ten.

Von Kurt Metz

Zer­matt liegt auf 1.620 Metern Höhe über dem Mee­res­spie­gel am Fuß des Mat­ter­horns. Vom Ver­kehrs­kno­ten Visp (650 Meter hoch) im Rho­ne­tal ist der Tou­ris­mus-Hot­spot mit der meter­spu­ri­gen Mat­ter­horn Gott­hard Bahn (MGB) über eine 35 Kilo­me­ter lan­ge, teils mit Zahn­stan­gen aus­ge­rüs­te­te, ein­glei­si­ge Linie ver­bun­den. 2011 schrieb die MGB den Güter­ver­kehr zur Ver­sor­gung von Zer­matt und des Gorn­er­grats in 3.000 Meter Höhe über die Schie­ne aus. Den Wett­be­werb gewann die Stra­ßen­trans­port­fir­ma Plan­zer. Ihr wur­de die Ver­ant­wor­tung für die gesam­te Logis­tik­ket­te über­tra­gen. Dazu grün­de­te sie die Alpin Car­go AG. Plan­zer führt auch das Stück­gut­un­ter­neh­men Car­go Domi­zil Schweiz und fährt pro Nacht zir­ka 280 Bahn­gü­ter­wa­gen auf zehn Ver­bin­dun­gen.

MGB: Vier­mal täg­lich im Takt
Plan­zer bringt Mar­ke­ting- und Logis­tik-Know-how, IT-Sys­te­me und ein natio­na­les Kun­den­netz­werk bei Alpin Car­go ein. Die MGB stellt die Gebäu­de­infra­struk­tu­ren in Visp und Zer­matt zur Ver­fü­gung und kon­zen­triert sich auf ihre Stär­ken in der Erbrin­gung von bahn­na­hen Dienst­leis­tun­gen, die Beschaf­fung von geeig­ne­tem Roll­ma­te­ri­al, die Trak­ti­on und das Ran­gie­ren. Zwi­schen den Güter­um­schlag­ter­mi­nals fah­ren fahr­plan­mä­ßig werk­tags jeweils vier Güter­zü­ge. Sie beför­dern Lebens­mit­tel, Geträn­ke, Non Food-Arti­kel, Maschi­nen und Ein­rich­tun­gen, Bau­ma­te­ri­al und Mine­ral­öl mit einem Gewicht von rund 40.000 Ton­nen pro Jahr. In Zer­matt wer­den die Güter mit Elek­tro­fahr­zeu­gen und einer Kut­sche ver­teilt.

RhB: Voll­ser­vice durch die Bahn
Die Rhä­ti­sche Bahn (RhB) betreibt im Kan­ton Grau­bün­den ein Meter­spur-Schie­nen­netz von knapp 400 Kilo­me­tern Län­ge und 37 für den Güter­ver­kehr geöff­ne­te Sta­tio­nen. Mit 460 Güter­wa­gen bewegt sie 750.000 Ton­nen pro Jahr sowohl im kon­ven­tio­nel­len als auch im Kom­bi­nier­ten Ver­kehr Schie­ne-Stra­ße. Die­ser macht mitt­ler­wei­le bereits 40 bis 50 Pro­zent des Volu­mens aus und ver­zeich­net ein kon­ti­nu­ier­li­ches Wachs­tum bei posi­ti­ven Erträ­gen. Rund ein Vier­tel des Umsat­zes ent­fällt auf Misch­ver­keh­re, also auf Güter­wa­gen, wel­che den fahr­plan­mä­ßi­gen Per­so­nen­zü­gen ange­hängt wer­den. Dies ist dank star­ker Trieb­fahr­zeu­ge und lan­ger Kreu­zungs­stel­len auf dem mehr­heit­lich ein­spu­ri­gen Meter­netz mög­lich.
Zwar sind die Trans­port­di­stan­zen zum Teil sehr kurz – zwi­schen Chur und Aro­sa lie­gen bei­spiels­wei­se nur 26 Schie­nen­ki­lo­me­ter – und die Ton­nen­ki­lo­me­ter­kos­ten sind für die Kun­den höher als auf der Stra­ße. Doch die Fle­xi­bi­li­tät der mehr­mals täg­lich bestehen­den Ver­bin­dun­gen – teils im Stun­den­takt – und der gesi­cher­te Win­ter­be­trieb wie­gen die­se Nach­tei­le auf: „Bahn­gü­ter­wa­gen brau­chen eben kei­ne Schnee­ket­ten“, meint etwas salopp Mat­thi­as Tscharner, Lei­ter Güter­ver­kehr der RhB. So bedie­nen sich die Schwei­zer Han­dels­un­ter­neh­men und Groß­ver­tei­ler Coop Genos­sen­schaft und Volg Kon­sum­wa­ren der Schie­ne eben­so wie die Schwei­ze­ri­sche Post und der Stra­ßen­trans­por­teur Gal­li­ker Trans­port. Neu ist auch der Detail­händ­ler Migros-Genos­sen­schafts-Bund dazu­ge­sto­ßen: Migros eröff­ne­te im Jahr 2020 eine Filia­le im Enga­din und über­gibt der RhB Con­tai­ner in Land­quart, die zwei­mal täg­lich mit Bio­gas-Lkw aus der Zen­tra­le in Gos­sau ange­lie­fert wer­den.

Bild: Mat­ter­horn Gott­hard Bahn

UKV als Erfolgs­fak­tor
Der unbe­glei­te­te Kom­bi­nier­te Ver­kehr (UKV) auf der RhB begann zunächst mit dem Abroll-Con­tai­ner-Trans­port­sys­tem ACTS auf rund zwei Dut­zend Umschlag­plät­zen in allen Tei­len des Kan­tons. Anschlie­ßend folg­te der Ein­satz von Wech­sel­be­häl­tern für Lebens­mit­tel­trans­por­te und Bau­stof­fe wie Zement mit­tels kipp­ba­ren Silo­con­tai­nern. Kran­an­la­gen schla­gen heu­te Güter in Aro­sa, Davos, Scuol, Zer­nez und Cam­po­co­lo­g­no im Puschlav um. Im Ober­enga­din steht das Umschlag­zen­trum Same­dan, unweit von St. Moritz.
Von hier aus wird das gesam­te Ober­enga­din bedient. Zuletzt gebaut wur­de das Ter­mi­nal von Ilanz-Schnaus in der Sur­sel­va an der Stre­cke Chur– Disen­tis für die Umla­dung der Ver­keh­re der Mine­ral­was­ser­quel­le Vals von der Stra­ße auf die Schie­ne. Über die Ber­ni­na-Linie mit dem Kul­mi­na­ti­ons­punkt in 2.233 Metern Höhe gelangt aus Tira­no in Ita­li­en Mine­ral­öl in die Regi­on und in der Gegen­rich­tung fin­den Holz­trans­por­te statt. Die Nut­zung der Schie­ne für Güter­ver­keh­re im Gebirgs­kan­ton Grau­bün­den weist einen gro­ßen Vor­teil auf: Die Bahn fährt bei nahe­zu jedem Wet­ter. Hin­zu kom­men Vor­tei­le im CO2-Ver­gleich und im zeit- sowie kos­ten­in­ten­si­ven Ein­satz von Lkw-Fah­rern.

Las­ten auf Zahn­rä­dern und am Seil
Neben Schie­nen­bah­nen ver­keh­ren in der Schweiz auch Zahn­rad- und Seil­bah­nen, die sowohl Per­so­nen als auch Fracht beför­dern. Ein Bei­spiel: Der auto­freie Tou­ris­mus­ort Wen­gen im Ber­ner Ober­land ist jeweils am zwei­ten Janu­ar­wo­chen­en­de Ski­welt­cup-Aus­tra­gungs­ort der legen­dä­ren Lau­ber­horn­ren­nen. Die nur 80 Zen­ti­me­ter brei­te Spur der Wen­ger­nalp­bahn, einer Zahn­rad­bahn zwi­schen Lau­ter­brun­nen und Grin­del­wald, ist – abge­se­hen von Heli­ko­ptern – die ein­zi­ge Zubrin­ger­rou­te für Dorf­be­woh­ner, Feri­en­gäs­te, Ath­le­ten, Zuschau­er, die Gerät­schaf­ten für die TV-Über­tra­gun­gen in alle Welt und Sicher­heits­net­ze für die Renn­stre­cke. So kom­men bis zu 2.000 Ton­nen Mate­ri­al zusam­men, die mit der Zahn­rad­bahn nach Wen­gen und wie­der ins Tal trans­por­tiert wer­den, dar­un­ter auch gelän­de­gän­gi­ge Klein­trans­por­ter der Armee für die Ver­tei­lung der Ver­pfle­gung.
Stand­seil­bah­nen ver­sor­gen bei­spiels­wei­se auto­freie Orte wie Braun­wald im Kan­ton Gla­rus. Und mit der steils­ten der­ar­ti­gen Bahn der Welt – mit einer Nei­gung von mehr als 110 Pro­zent – geht es nach Stoos im Kan­ton Schwyz. Durch die Luft schwe­ben Las­ten auch in die drei Tou­ris­mus­or­te Bett­me­r­alp, Rie­der­alp und Fie­scher­alp des Aletsch-Gebiets im Kan­ton Wal­lis. Ins auto­freie Mür­ren im Ber­ner Ober­land füh­ren zwei Rou­ten: Vom Tal­bo­den in Ste­chel­berg pen­delt eine rei­ne Trans­port­seil­bahn für das Gepäck der Feri­en­gäs­te. Bis zu sechs Ton­nen hän­gen an der Barel­le unter der Kabi­ne der Win­den­luft­seil­bahn ab Lau­ter­brun­nen und wer­den auf Grüt­schalp auf einen zwei­ach­si­gen Flach­wa­gen der Adhä­si­ons-Meter­spur­bahn nach Mür­ren umge­la­den. Dazu gehö­ren Umzugs­mö­bel eben­so wie Kühe. Noch ein High­light: Die höchs­te Bahn­sta­ti­on Euro­pas in 3.463 Metern Höhe auf dem Jung­frau­joch wird seit Ende 2020 über die Gon­del­bahn Eiger-Express mit vier Kabi­nen für Las­ten mit bis zu zwei Ton­nen Gewicht ab Grin­del­wald Grund nach Eiger­glet­scher und von dort wei­ter mit der Jung­frau­bahn, einer Zahn­rad­bahn, ver­sorgt.