Die Scho­ko­fahrt

Rad­ur­lau­be lie­gen im Trend. Sie mit einer Güter­trans­port­leis­tung zu ver­bin­den ist mög­lich – und äußerst umwelt­freund­lich.

Von Susan­ne Land­wehr

„ Muss I denn, muss I denn zum Stä­de­le hin­aus …“, erklang wohl­tu­end vor der Staats­oper Unter den Lin­den in Ber­lin. Vier Hor­nis­ten des haus­ei­ge­nen Orches­ters spiel­ten zur Begrü­ßung von zwölf Rad­fah­rern auf und berei­te­ten ihnen damit einen ehren­vol­len Emp­fang. Die Grup­pe hat­te gera­de rund 750 Kilo­me­ter zwi­schen Ams­ter­dam und Ber­lin zurück­ge­legt. Am Oster­sams­tag waren sie los­ge­fah­ren, eine Woche spä­ter tra­fen sie in der Haupt­stadt ein. Im Gepäck hat­ten sie nicht nur die nötigs­ten Sachen für die gut ein­wö­chi­ge Fahr­rad­tour, son­dern auch 300 Kilo­gramm Scho­ko­la­de.

Es geht um die soge­nann­te Scho­ko­fahrt, eine Rad­tour mit gro­ßem Sym­bol­ge­halt. Die Rad­ler wol­len zei­gen, dass Trans­por­te vom Her­stel­ler bis zum Ver­brau­cher kom­plett emis­si­ons­frei mög­lich sind. Im Früh­jahr 2017 bra­chen zum ers­ten Mal vier Fah­rer auf, um 60 Kilo­gramm Scho­ko­la­de von der Ams­ter­da­mer Scho­ko­la­den­ma­nu­fak­tur Cho­ko­la­tema­kers nach Müns­ter zu brin­gen. Das Pro­jekt sprach sich her­um, die Zahl der Teil­neh­men­den und die trans­por­tier­ten Men­gen sind seit­dem ste­tig ange­stie­gen. Im Herbst 2019 waren es gar über 250 Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer, die mehr als 2.500 Kilo­gramm des Scho­ko-Pro­dukts in über 35 Städ­te lie­fer­ten. Die­ses Mal waren ab Ams­ter­dam 168 Fah­rer dabei, die sich auf 36 Grup­pen ver­teil­ten. Nach der nie­der­län­disch-deut­schen Gren­ze teil­ten sie sich nach und nach auf, um sich nach Bre­men, Müns­ter, Kon­stanz, Ber­lin und Dres­den auf­zu­ma­chen. Gemein­sam fuh­ren die Grup­pen an Ostern 1779,9 Kilo­gramm lecke­re Scho­ko­la­de nach Deutsch­land.

Kakao­boh­nen kamen per Frach­ten­seg­ler

Der Trans­port der Scho­ko­la­de vom Her­kunfts­land bis zur Pro­duk­ti­on soll weit­ge­hend CO2-frei sein. Das Fracht­se­gel­schiff „Tres Hom­bres“ von Fair­trans­port Ship­ping and Tra­ding brach­te die Kakao­boh­nen kurz vor dem Start der elf­ten Scho­ko­fahrt in die Nie­der­lan­de. Zuvor war der Frach­ter über 25.000 Kilo­me­ter von der Domi­ni­ka­ni­schen Repu­blik bis Ams­ter­dam gese­gelt. Rei­se­dau­er: meh­re­re Mona­te – ganz ohne Motor. Das ist zumin­dest auf die­ser Tour mög­lich, erklärt Kath­rin Beck von den Cho­co­la­tema­kers. „Vom Kon­go gibt es kei­ne Segel­rou­te, so dass wir die Boh­nen von dort auf her­kömm­li­chem Wege trans­por­tie­ren müs­sen.“

Die Manu­fak­tur der Cho­co­la­tema­kers befin­det sich an einem Sei­ten­arm des Ams­ter­da­mer West­ha­fens und pro­du­ziert mit Solar­strom. Her­aus kom­men dann Geschmacks­rich­tun­gen wie Chi­li, Salt-Cara­mel, Ing­wer und auch eine 100-pro­zen­ti­ge Scho­ko­la­de. Je nach­dem, wo die Zuta­ten her­kom­men, wer­den sie mit dem Frach­ten­seg­ler, her­kömm­li­chen Con­tai­ner­schif­fen oder per Lkw ange­lie­fert. „Wir ver­su­chen zu gewähr­leis­ten, dass die CO2-Emis­sio­nen so gering wie mög­lich sind“, sagt Kath­rin Beck. Die Aus­lie­fe­rung der fer­ti­gen Scho­ko­la­den erfolgt in Ams­ter­dam dann mit Las­ten­rä­dern.

Foto: istock

„Wir wer­ben dafür, dass es auch anders geht“, sagt Tho­mas Ger­bing, einer der Ber­li­ner Tou­ren­teil­neh­mer, der DVZ. Er ist 2019 das ers­te Mal mit­ge­fah­ren. Alles ehren­amt­lich, ohne Spon­so­ring und für die gute Sache. Susan­ne Gritt­ner, stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de des ADFC in Ber­lin und zustän­dig für die jähr­li­chen all­ge­mei­nen Stern­fahr­ten, war von Ber­lin aus nach Ams­ter­dam mit dem Rad gestar­tet. Zurück in Ber­lin hat­te sie schließ­lich 1.500 Kilo­me­ter zurück­ge­legt.

In die­sem Jahr war die gro­ße Her­aus­for­de­rung, dass die Grup­pe die gan­ze Zeit star­ken Gegen­wind hat­te. Von Ams­ter­dam ging es eine Teil­stre­cke mit Teil­neh­men­den aus Bre­men und Müns­ter über Nor- wegen, einen klei­nen Ort im nie­der­säch­si­schen Land­kreis Clop­pen­burg, Han­no­ver und Sten­dahl bis nach Ber­lin. „Bei der vor­letz­ten Etap­pe bin ich an mei­ne Gren­zen gekom­men“, erzählt Kers­tin Leut­hoff. An dem Tag haben die Fahr­rad­fah­re­rin­nen und ‑fah­rer 124 Kilo­me­ter zurück­ge­legt. Sonst waren es täg­lich zwi­schen 70 und 100 Kilo­me­ter.

Für Leut­hoff war die­se Scho­ko­fahrt ihre zwei­te Tour. Als etwas Beson­de­res erleb­te sie die Besich­ti­gung der Scho­ko­la­den­her­stel­lung in Ams­ter­dam. Die Cho­co­la­tema­kers bie­ten regel­mä­ßig Füh­run­gen und Ver­kos­tun­gen. Für die rund 168 Teil­neh­men­den die­ser Aus­lie­fe­rungs­tour gab es kos­ten­lo­se Scho­ko­la­de, Kaf­fee und Snacks, bevor sie ihre Pake­te auf­lu­den und los­fuh­ren.

Die Ladung für Ber­lin stand auf drei Roll­pa­let­ten gesta­pelt bereit. Kers­tin Leut­hoff konn­te sich zunächst nicht vor­stel­len, wie sie die Scho­ko­la­den­pa­ke­te unter­be­kom­men soll­ten. Einen Teil lud sie auf ihr Las­ten­rad. Ande­re Mit­fah­re­rin­nen und Mit­fah­rer hat­ten Fahr­rad­an­hän­ger mit­ge­bracht, die teils maxi­mal 40 Kilo­gramm tra­gen konn­ten, wie­der ande­re fuh­ren mit Sat­tel­ta­schen. Letzt­end­lich wur­de alles glück­lich ver­staut und die Tour ver­lief ohne grö­ße­re Pan­nen. Stie­gen die Tem­pe­ra­tu­ren wäh­rend des Tages an, schütz­te licht­ab­wei­sen­de Folie die Fracht. Am Ende war­te­ten in Ber­lin drei Läden auf die bun­ten Tafeln. Die Staats­oper war schon mit 50 Kilo­gramm ver­sorgt, als die drei Hor­nis­ten das letz­te Lied, „Am Brun­nen vor dem Tore“, anstimm­ten.